Klinikum Mittelbaden

Wenn der Schmerz chronisch ist – Wie kann man Schmerz behandeln?

„Das ist doch nur eingebildet, du simulierst.“ Diesen Satz müssen sich viele Menschen mit chronischem Schmerz anhören. Ihre Umwelt nimmt sie nicht mehr richtig ernst, vor allem dann nicht, wenn die Schmerzursache für Außenstehende nicht ersichtlich ist. Doch was bedeutet der Begriff chronischer Schmerz überhaupt? Diese Bezeichnung grenzt sich von akutem Schmerz ab, welcher ein Warnsignal schickt, dass im Körper etwas nicht stimmt. Es ist ein Schmerz, der nicht allzu lange anhält. Von chronischem Schmerz spricht man dagegen, wenn dieser über drei bis sechs Monate andauert.

„Chronischer Schmerz hat aber nicht nur eine zeitliche Dimension. Wenn der Schmerz über längere Zeit bleibt, ohne dass beispielsweise eine Gewebsschädigung vorliegt, dann hat sich das Schmerzsystem verselbständigt und der Schmerz ist zu einer eigenständigen Erkrankung geworden“, klärt Dr. Joachim Gießer, Leitender Arzt der Schmerzmedizin in der Klinik Bühl auf.
In Deutschland sind circa 17 Prozent der Bevölkerung von chronischem Schmerz betroffen. Davon haben ein Drittel sehr starke Schmerzen. „Wenn zum Beispiel nach einem Bandscheibenvorfall, der bereits operiert ist, immer noch starke Schmerzen vorherrschen, dann geht es nicht mehr um die Ursachensuche, sondern – nach Ausschluss einer kausal behandelbaren Ursache – um die Therapie“, erklärt Dr. Gießer.
Hierbei wird der Patient zunächst ausführlich befragt. Neben der Schmerzstärke, sind die Auswirkungen der Schmerzen auf das Alltagsleben und das psychische Befinden für die weitere Behandlung von großer Bedeutung. Die persönliche Einschätzung, die körperliche Untersuchung und alle Befunde werden zusammengefügt. „Bei der Behandlung wird häufig an Medikamente gedacht, aber auch Schmerzmittel können bei längerer Einnahme Nebenwirkungen haben.

Medikamente sind wichtig, sie sollten aber nicht die einzige Säule sein, auf die man sich stützt“, macht Dr. Gießer klar. Dabei wird das sogenannte bio-psycho-soziale Modell immer im Blick behalten. Es bedeutet, dass chronischer Schmerz nicht nur körperliche Aspekte umfasst, sondern auch durch das seelische Empfinden und das persönliche Umfeld beeinflusst wird. Die verschiedenen Einflüsse wie eine genetisch bedingte größere Erregungsbereitschaft des Nervensystems (biologisch), der Umgang mit Problemen (psychologisch) sowie das private und berufliche Umfeld (sozial) bedingen sich gegenseitig und können sich dadurch auch verstärken.

In schweren Fälle ist die multimodale interdisziplinäre stationäre Schmerztherapie sinnvoll. Durch die Behandlung mit Medikamenten und die enge Zusammenarbeit von Ärzten, Physio-, Ergo-, Entspannungs- und Psychotherapeuten verstärken sich die Wirkungen der einzelnen Verfahren und die Aussicht auf Besserung steigt deutlich. Wichtig ist es auch, den Patienten bei der aktiven Krankheitsbewältigung zu unterstützen.

Dennoch könne das Ziel Schmerzfreiheit nicht immer erreicht werden: „Dies ist eine hoch gesteckte Erwartung, die wir nicht jederzeit erfüllen können. Ein Erfolg liegt auch dann vor, wenn der Schmerz um 30 bis 50 Prozent geringer wird und der Patient wieder arbeiten und am Sozialleben teilhaben kann“, betont Dr. Gießer. Es sei jedoch schwer eine ganz einfache Handlungsempfehlung zu geben, fügt der Mediziner hinzu und nennt ein Beispiel: „Ein Migränepatient bleibt ein Migränepatient. Aber wenn er eine Umstrukturierung seines Lebens vornimmt, indem er einen regelmäßigen Tagesablauf anstrebt, auf Alkohol verzichtet, auf eine ausgewogene Ernährung achtet, Ausdauersport betreibt und eine gute Balance zwischen körperlicher Forderung und Entspannung in seinen Alltag integriert, ist viel gewonnen. Dann kann dieser Betroffene – anstatt mit 10 Tagen Arbeitsausfall im Monat – vielleicht wieder durcharbeiten.“

Eine große Bedeutung schreibt der Arzt auch der Voraussetzung zu, dass der Schmerzpatient auf jeden Fall eine verlässliche Anlaufstelle hat, an welche er sich immer wenden kann. „Das kann zum Beispiel der Hausarzt sein, bei dem alle Fäden zusammenlaufen, damit ein Ärztehopping vermieden wird“, rät Dr. Gießer.
Im ganzheitlichen Ansatz der multimodalen Schmerztherapie liegt für Dr. Gießer bei der Therapie seiner Patienten der Schlüssel zur Reduzierung der Schmerzen: „Die Patienten verstehen immer mehr, dass nicht nur die Medikamente allein helfen, sondern der ganzheitliche Ansatz wichtig ist“, resümiert Dr. Gießer.